The Swiss voice in the world since 1935

Die zwei Gesichter des Schweizer Immobilienmarkts

Luftaufnahme von Kilchberg, einer Gemeinde an einem See
Tiefe Steuern, Seeblick, die Städte Zürich (hinten) und Zug in unmittelbarer Nähe: das ist Kilchberg, die teuerste Gemeinde der Schweiz. Keystone / Ennio Leanza

Die Stadt Le Locle im Neuenburger Jura und die Gemeinde Kilchberg am Zürichsee trennen 2,5 Autostunden – und Tausende Franken pro Quadratmeter.

Der schwarze Mercedes hält vor einer Baugrube. Claudio Baumann steigt aus, grüsst freundlich. Smarter Typ. Aufmerksame Augen. «Hier haben wir das ganze Projekt im Verkauf», sagt er.

Das künftige Apartmenthaus Externer Linkliegt ein paar Gehminuten vom Bahnhof Kilchberg entfernt am Hang. Die oberen Etagen versprechen einen unverbauten Blick auf den Zürichsee.

Es ist eine Aussicht, die Millionen kostet und Millionäre anzieht: Die mittleren Stockwerke sind schon alle weg.

Für eine Wohnung im Parterre hingegen hat sich noch kein Käufer gefunden, obschon hier ein eingebauter «Private Spa» über die dürftige Aussicht hinwegtröstet.

Aber es steht ja auch erst das Fundament.

Auch die oberste Etage steht noch zum Verkauf. Etwas über 8 Millionen Franken sollte der künftige Eigentümer übrighaben – es ist hier keine ungewöhnliche Summe. Kilchberg ist die teuerste Gemeinde der Schweiz.

Projektbild, Blick aus einer Wohnung auf den Zürichsee
Blick aus einer der Wohnungen des im Bau befindlichen Projekts Haute Residences in Kilchberg, wo die oberste Etage etwas über 8 Millionen Franken kostet. zVg

Neuzuzüger kommen von überall auf der Welt, vor allem aber aus der EU und den USA.

Baumann hat das früh realisiert. Einzelne Objekte inseriert er auch auf den Webseiten der Financial Times und des Wall Street Journals. Damit hat er sich am Zürichsee einen Namen gemacht.

Wo noch alle feilschen

Szenenwechsel: In Le Locle steht ein schwarzer Audi vor einem umgenutzten Industriegebäude. Sadry Ben Brahim, diskretes Auftreten, perfektes Deutsch für einen Westschweizer, wartet schon in der Wohnung.

6,5 lichtdurchflutete Zimmer, 202 Quadratmeter, eine grosse Terrasse und drei Parkplätze gibt es hier für 625’000 Franken.

Blick in eine Wohnung in Le Locle in einem alten Industriegebäude.
Loftartiges Wohnzimmer und über 200 Quadratmeter Wohnfläche für 625’000 Franken – und trotzdem wartete die Wohnung in Le Locle Monate auf einen Käufer. zVg

Bereits seit fünf Monaten steht Objekt zum Verkauf. «Die Immobilien gehen hier fast nie zum Ausschreibepreis weg», sagt Ben Brahim. «Die Leute fragen schon vor der Besichtigung, ob man über den Preis reden könne.»

Ben Brahim verkauft Liegenschaften in der ganzen Region Neuburg, im Namen der Compagnie Immobilière Romande Sàrl, die einem guten Freund gehört. Daneben ist er auch noch Versicherungsmakler.

Sadry Ben Brahim, Portrait
Verkauft Immobilien und Versicherungen: Sadry Ben Brahim. zVg

Le Locle ist seine Schnäppchen-Destination. 3500 bis 5000 Franken kostet der Quadratmeter hier.

Zwar gibt es in der Schweiz noch günstigere Lagen – in abgelegenen Tälern im Jura und im Tessin. Wie viel günstiger ist wegen der wenigen Handänderungen aber schwer statistisch zu erfassen.

Unter den erschlossenen Gemeinden mit regelmässigen Verkäufen ist Le Locle die günstigste der Schweiz.

«Es gibt Leute, die ziehen nur deshalb hier her, weil die Preise tief sind, weil sie in den umliegenden Zentren Neuenburg und La Chaux-de-Fonds mit ihrem Budget nicht fündig werden», sagt Ben Brahim.

Oft schon hat er Verkäufe an vergleichsweise kleinen Summen scheitern sehen. «Die Bank sagte, das ist 50 000 Franken zu viel und finanzierte den Kauf nicht. Sowas ist immer traurig. Da fliessen auch mal Tränen.»

Ein Zimmer für die Nanny

In Kilchberg ist Ingila Baumann dazugestossen. Mit ihr hat Claudio Baumann zwei Kinder und die gemeinsame Firma: Baumann Estate, die sie einst in einem 14 Quadratmeter-Büro gegründet haben und die heute drei Angestellte zählt.

Ingila Baumann ist für das zweite Objekt der Besichtigung verantwortlich: eine Fünfeinhalb-Zimmer-Parterrewohnung am Rand von Kilchberg.

Es ist der typische Schweizer Eigentumswohnungsstandard: Holzböden, Einbauschränke, Küche mit Natursteinplatten.

Dazu ein für eine Wohnung eher grosszügiger Garten, von wo man aus einer Ecke den See erblicken kann. Kostenpunkt: Rund 4,8 Millionen Franken.

Eine Frau und ein Mann auf einem grossen Balkon
Ingila und Claudio Baumann im Garten einem ihrer Verkaufsobjekte. Die 5,5-Zimmer-Wohnung kostet rund 4,8 Millionen Franken. SWI swissinfo.ch / Marc Leutenegger

Die Wohnung wird, so erfahren wir später, eine Schweizer Familie kaufen. Noch machen Inländer die Mehrheit der Kundschaft des Paares aus.

Rund 30 Prozent suchen vom Ausland her, sagt er. «Sie haben, wenn sie kommen, schon einen Job und eine B-Bewilligung und sind finanziell gut aufgehoben, können also schnell etwas kaufen.» Andere Kunden kämen aus steuerlichen Gründen.

Die Sondierung beginne früh. «Manchmal sind wir zwei Jahre mit den Käufern im Kontakt, bevor das etwas wird», sagt Baumann.

Für Amerikaner sei typisch, dass sie eine grosse Wohnung suchten. In der Regel brauchen sie ein Extra-Zimmer für die Nanny. Ein wichtiges Thema seien auch die Schulen. «Dass wir hier internationale Schulen in der Nähe haben, ist ein grosses Plus.»

Das andere Plus ist die Lage. Noch vor ein paar Jahren war das westlichen Zürichsee-Ufer, an dem Kilchberg liegt, das günstigere. Denn hier hat man keine Abendsonne.

Von Herrliberg und Küsnacht blickte der Schweizer Geldadel abends mitleidsvoll auf die andere Seeseite herab, die im Volksmund Pfnüselküste genannt wurde – wobei «Pfnüsel» im Schweizerdeutschen «Schnupfen» meint.

Kartenansicht der Schweiz mit Le Locle und Kilchberg
Kai Reusser / SWI swissinfo.ch

Inzwischen hat die Situation gedreht. Bis zu 35’000 Franken kostet der Quadratmeter Wohnraum in Kilchberg.

Von hier aus hat man schnelle Zugverbindungen nicht nur in die Bankenmetropole Zürich und zum Flughafen. Auch Zug, die Heimat der grossen Rohstoffkonzerne und des Schweizer Crypto Valleys, ist in wenig mehr als 20 Minuten erreicht.

Und wer ins Tessin oder in den Kanton Graubünden fahren will, muss von Kilchberg aus nicht erst den See umfahren.

Jahrzehntelange Starre

Die geografische Lage bestimmt auch das Schicksal von Le Locle. Aber nicht im Positiven. Direkt neben Frankreich gelegen, wälzt sich der Grenzverkehr durch die Stadt. Eine unablässige Blechlawine.

«Der Verkehr ist das grösste Problem von Le Locle», sagt Ben Brahim, während der Strassenlärm durch die offenen Fenster der Wohnung dringt.

Das zweite grosse Problem ist die Wirtschaft. Le Locle ist wie das benachbarte La Chaux-de-Fonds stark von der Uhrenindustrie abhängig. Viel mehr gibt es hier nicht.

Ein ausrangierter Bahnwagen vor in die Jahre gekommenen Mietskasernen.
Bonjour Tristesse: Die Stadt Le Locle liefert noch immer viele wenig glamouröse Ansichten. In keiner erschlossenen Gemeinde der Schweiz ist der Boden günstiger. Keystone / Christian Beutler

Nach einem Hoch in den 60er-Jahren, als Le Locle fast 15’000 Einwohner zählte, ist die Stadt stetig geschrumpft. Heute zählt sie rund 10’500 Personen, das sind nur rund 1000 Einwohner mehr als Kilchberg.

Wie La-Chaux-de-Fonds ist Le Locle als Wiege der Uhrenindustrie Teil des Unesco Welterbes, aber in der kleinen Innenstadt zerfallen die Häuser. Die Steuern sind hoch, und auch die Krankenkassenprämien.

Auf die Frage, was die Stadt brauche, schreibt die Pressestelle der Stadtregierung zurück: «Ein besseres Image.»

Zur Diskretion verpflichtet

Probleme hat auch Kilchberg. Es sind Strukturprobleme, wie sie viele Zürcher Seegemeinden haben. Die Immobilien sind für Normalverdiener unerschwinglich, viele Junge werden aus der Gemeinde vertrieben.

Die Gemeindepräsidentin, eine Anwältin, geht auf einen Katalog von Fragen dieser Redaktion nicht ein. Sie wolle keine Hand bieten für eine «süffige Story», schreibt sie zurück.

Diskretion ist eine Tugend in Kilchberg.

«Für uns ist sie das A. und O.», sagt auch Claudio Baumann. Es gebe die Situationen, dass Käufer nicht an die Beurkundung der Eigentumsübertragung kämen, weil sie sich nicht zeigen wollten.

«Das sind meist sehr vermögende Leute, darunter auch solche, die man kennt. Aber auch Familien, die schon lange hier wohnen und die ein Objekt für ihre Kinder oder Enkelkinder kaufen.»

Süsse Aufwertung

In Le Locle treten derweil immer mehr Investoren von ausserhalb als Käufer auf, wie Ben Brahim feststellt. Der Grund ist ein vier Kilometer langer, zweispuriger TunnelExterner Link im Norden der Stadt, der Le Locle ab etwa 2032 vom Durchgangsverkehr befreien wird.

Eine halbe Milliarde Franken lässt sich der Bund das Verkehrsprojekt kosten. Das Aufwertungspotenzial ist massiv.

Das Zentrum von Le Locle in einer Luftaufnahme
Schlummerndes Potenzial: die Altstadt von Le Locle mit dem ikonischen Rathaus. In der Stadt wird der Verkehr um 60 Prozent zurückgehen, wenn die Umfahrung öffnet, prognostiziert das Bundesamt für Strassen. Die Stadt rechnet mit steigenden Immobilienpreisen. Keystone / Gaetan Bally

Auch die lokale Regierung rechnet damit, dass in Le Locle bald ein neues Zeitalter anbrechen wird, mit steigenden Immobilienpreisen.

Im Legislaturprogramm hat sie sich die Aufwertung des Stadtzentrums verordnet. Le Locle soll als Wohnort und Subzentrum neu erfunden und der Tourismus angekurbelt werden.

Man traut sich wieder etwas im Neuenburger Jura. Gerade hat die Bevölkerung einen Projektierungskredit für die Renovation Freibads gutgeheissen. Seit dem Bau 1962 wurde es kaum angerührt.

Mehr

Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Marc Leutenegger

Welche Erfahrungen haben Sie mit Wohnungsnot und steigenden Immobilienpreisen gemacht?

Die Schweiz schlittert kopfüber in eine Wohnungskrise. Wie lässt sich das noch verhindern? Ihre Ideen sind gefragt.

38 Likes
54 Kommentare
Diskussion anzeigen

Editiert von Balz Rigendinger

Mit der Schweiz verbunden

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft